Ganz entspannt neben dem Job ins Online-Business starten – das ist der Traum von vielen angehenden Selbständigen. Ihr Plan ist, sich nebenberuflich das zweite Standbein aufzubauen: Schritt für Schritt die Liste aufbauen, Reichweite auf Social Media steigern, Content produzierend, erste Produkte entwickeln, vielleicht sogar den ersten Onlinekurs ein oder zweimal launchen – und dann irgendwann den Absprung aus der sicheren Festanstellung zu machen. Jaaa, eines Tages!
Nur: Dieser Tag kommt bei vielen nie.
Nicht, weil sie kein gutes Angebot oder keine Kunden hätten, sondern weil die Sicherheit der Festanstellung zu einem Lock-In-Effekt führt, der das Online-Business sabotiert. Lock-In-Effekt bezeichnet Mechanismen, die uns mehr oder weniger subtil davon abhalten, zu wechseln. Ob das der Wechsel des Betriebssystems (z. B. von einem Apple-Handy auf Android) oder der Wechsel der Krankenkasse ist (z. B. von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung), es gibt viele Lock-Ins. Und es gibt sie auch beim Wechsel von der Festanstellung in die Selbständigkeit und beim Übergang von der Selbständigkeit zum Online-Business.

Der Lock-In-Effekt beim Übergang von der Festanstellung in die Selbständigkeit.

Je besser bezahlt diese Festanstellung ist, je angenehmer sie ist und je mehr Stunden wir dort arbeiten, umso stärker ist ihr Lock-In-Effekt. Die Festanstellung schafft mit ihrer Sicherheit eine Bequemlichkeit: Wir haben ja genug Einkommen, also fehlt uns oft der Antrieb, bei unserer Selbständigkeit „all in“ zu gehen.
Zudem geht bei vielen Menschen die Rechnung so: Sie vergleichen ihr Gehalt der Festanstellung mit dem möglichen Einkommen aus ihrer Selbständigkeit. Sie rechnen hoch, wie viele Stunden sie als Selbständige dafür brauchen, um genau so viel zu verdienen wie in ihrer Festanstellung. Sie erkennen, dass das parallel nicht funktionieren wird. Viele geben den Traum von der Selbständigkeit dann sofort auf. Einige reduzieren die Stunden in ihrer Festanstellung. Aber auch wenn wir in unserer Festanstellung „nur“ 50 % arbeiten: Es ist dann genau diese Zeit, die uns fehlt, um mit voller Kraft an/in unserem eigenen (Online)Business zu arbeiten.
Carola macht es genau richtig: Byebye Lock-in-Effekt! Die Diskussion rund um den Lock-In-Effekt, von wo ich diesen Screenshot entnommen habe, findest du in diesem Facebook-Posting.

Die nächste Stufe des Lock-In-Effekts: Der Übergang von der Selbständigkeit ins eigene (Online)Business.

Selbständig ist relativ. Viele Selbständige arbeiten nicht für sich selbst und sind z. B. Freelancer, die fest frei für ein anderes Unternehmen arbeiten. Sie haben also einen festen Kunden (z. B. mit einem Rahmvertrag) und erwirtschaften dort ein gutes, stabiles Einkommen. Oft bilden diese festen freien Jobs das Haupteinkommen der Selbständigen. Ich habe das selbst auch lange so gemacht: Ich hatte immer wieder Unternehmen und Agenturen, für die ich fest frei gearbeitet habe, 1 bis 2 Tage pro Woche. Ich war also selbständig – war aber in einer ähnlichen Situation wie viele andere Festangestellte. Diese festen freien Tätigkeiten haben mich lange Zeit finanziert und mich durch alle Krisen getragen. Ich hatte mein sicheres Einkommen – keine Selbstverständlichkeit als Freelancerin!
Diese festen freien Tätigkeiten haben aber auch meinen Sprung in mein komplett eigenes Business stark verzögert. Denn wie ich schon vor einigen Tagen geschrieben habe: ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als ich nach intensiven Tagen vor Ort bei Unternehmen und Werbeagenturen nach Hause kam: Ich brauchte regelmäßig fast einen ganzen Tag, um mich davon zu erholen. Denn: Freelancing oder Festanstellung verbraucht nicht nur unsere Zeit, sondern auch unsere geistige Kapazität. Hinzu kommen oft auch Fahrtzeiten (z. B. von der Festanstellung nach Hause) und andere Dinge, die Zeit rauben. Deshalb geht die gängige Rechnung
20 Stunden Festanstellung/Freelancing pro Woche
+ 20 Stunden Zeitinvestition ins eigene Business
= 40 Stunden Arbeitswoche
nicht auf.
Wenn wir nicht mindestens 15-20 Stunden pro Woche PLUS Fahrtzeiten PLUS geistige Pufferzeit in Höhe von mindestens einem Arbeitstag/Woche in unser eigenes (Online) Business investieren, werden wir kaum etwas aufbauen können. Diese Zeit kommt bei Angestellten und Freelancern on top auf die Zeit, die wir schon für unsere Arbeit- bzw. Auftraggeber arbeiten. Bei mir hieß das: eine massive Doppelbelastung für etwa 2,5 Jahre. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Ich verstehe sehr gut, wenn sich jemand das nicht antun möchte – für Mütter gilt das gleich doppelt.

Die Symptome eines Lock-In-Effekts bei Selbständigen

  • Ein Lock-In-Effekt verhindert, dass du ein gewisses Niveau übertriffst. Er hält dich (finanziell) klein.
  • Der Lock-In-Effekt bietet eine auf den ersten Blick einfache und gute Lösung und erscheint zunächst wie ein sehr guter Deal (Stichwort „Kleinunternehmerregelung“).
  • Er kreiert eine Komfortzone, aus der es sehr schwer ist, herauszukommen. Das Verlassen des Lock-In-Effekts führt erst mal zu einem „Loch“ und zu einer stärkeren finanziellen Belastung. Man muss es sich leisten können, den Lock-In zu verlassen!
  • Die Frage „Soll ich? Soll ich nicht?“ lässt uns keine Ruhe. Wir recherchieren sehr viel und es muss sich erst ein großer Leidensdruck aufbauen, bevor wir den Mut aufbringen, den Schritt raus aus dem beruflichen Lock-In zu wagen.

Lock-In-Effekte wohin das Auge eines (angehenden) Selbständigen reicht!

Bei der Künstlersozialkasse gibt es den Lock-In-Effekt, dass man nur einen festangestellten Mitarbeiter (> 450 €) haben darf, ansonsten fliegt man aus der KSK raus. Dann muss man 100 % aller Sozialabgaben wie z. B. die Krankenversicherung selbst zahlen statt wie bisher nur 50 %. Das ist auch ein Grund, warum viele Kreative nie ihren Einzelkämpfer-Status ablegen.

Das Ehegatten-Splitting hat einen krassen Lock-In-Effekt, der es für die Ehefrau (in den meisten Fällen ist sie es, die vom Lock-In-Effekt getroffen wird) unattraktiv macht, (mehr) Geld zu verdienen. Sie arbeitet dann oft weniger/gar nicht, macht hier und da einen Mini-Job, bleibt häufig in der schlechteren Steuerklasse und bekommt im Scheidungsfall bzw. spätestens im Alter die Rechnung serviert. Sowieso: Das Steuerrecht bietet allerlei Lock-In-Effekte wie z. B. die kalte Progression.

Wer HartzIV bezieht, wird „bestraft“ wenn er Geld verdient weil er vom Zuverdienst nur einen kleinen Teil behalten darf. Das erhöht die Hürde für viele massiv, sich eine Erwerbstätigkeit zu suchen. Denn nicht jeder findet gleich einen so gut bezahlten Job, dass sich der Absprung aus HartzIV „lohnt“.

Die Kleinunternehmerregelung sorgt dafür, dass viele Selbständige es tunlichst vermeiden, zu viel Geld zu verdienen (22.000 € bzw. in selteneren Fällen 50.000 €).

Wer seine Festanstellung kündigt, bekommt für 3 Monate kein Arbeitslosengeld. Das ist die berüchtigte Sperrzeit. Wer gekündigt wird, hingegen schon. Wer also nicht das Glück hat, einen kulanten Arbeitgeber zu haben, mit dem er sich aufs Gekündigtwerden einigen kann, startet hier gleich mit einer finanziellen Hürde in seine Selbständigkeit. Denn nicht jeder hat das Glück, den Gründerzuschuss zu erhalten. Ich habe ihn 2009 bekommen, nachdem mir gekündigt wurde. Yay! Ein weiterer Lock-in-Effekt, der viele vom Gründen abhält: Heute ist es schwerer als damals, den Gründerzuschuss zu bekommen. Und Leute, die als gut vermittelbar gelten (natürlich in eine Festanstellung), bekommen ihn wahrscheinlich nicht. Es ist alles ziemlich absurd…

Warum sich der Sprung ins Online-Business lohnt – trotz Lock-In-Effekt

Der Sprung raus aus der Festanstellung bzw. dem Freelancing ist auf den ersten Blick beängstigend. Die Sicherheit des stabilen Einkommens freiwillig hinter sich lassen – da müssen die Zukunftsaussichten schon sehr gut sein (oder der Leidensdruck sehr hoch).
Aber: Der Sprung lohnt sich. Gerade für Mütter. Denn wir haben mit unserem eigenen Online-Business ein viel höheres Einkommenspotential und können unsere Arbeitszeit vom Einkommen abkoppeln. Neudeutsch wird das auch „skalieren“ genannt. Und wenn etwas im Leben einer Mutter knapp ist, dann Zeit. Wovon viele gut qualifizierte Mütter allerdings ausreichend haben, ist Erfahrung, Wissen und eine sehr gute Ausbildung – und das können sie in ihrem Online-Business alles einfließen und für sich arbeiten lassen.
Der Zauberspruch, dem Lock-In-Effekt zu entkommen, heißt: „Jetzt aber schnell!“ Also: schnell das Business aufbauen, schnell erste zahlende Kunden finden und schnell das ursprüngliche Einkommen aus der Festanstellung bzw. aus dem Freelancing ersetzen. Das ist mit 1:1-Coaching oft recht schnell möglich (hier ist die Unterscheidung zwischen 1:1-Coaching und Freelancing wichtig). Wenn diese finanzielle Grundlage gesichert ist, kann, wer will, die 2. Ausbaustufe des Online-Business zünden: skalierbare Online-Kurse.
Von so einem hohen Einkommen, wie ich es heute habe, konnte ich als Freelancer nur träumen. Das war mit meinen damals zur Verfügung stehenden Arbeitsstunden x Stundensatz rechnerisch nicht möglich. Und ich hätte wahrscheinlich auch 100 Jahre weiter gefreelancet (verrücktes Wort), wenn mir die Tatsache, dass ich 3 Kinder habe, nicht so viele Steine in den Weg (und in die Köpfe vieler Menschen) gelegt hätte…